GEWITTER IM KOPF
DIAGNOSE EPILEPSIE
Wenn Hunde plötzlich krampfen, sitzt der Schock tief - doch es gibt vieles, das wir tun können! Dr.Dr.Benjamin-Andreas Berk hat sich dem Thema Epilepsie verschrieben. Er berät und unterstützt in seiner Praxis BrainCheck.Pet® Vierbeiner sowohl vor Ort als auch virtuell.
Text: Veronika Rothe
Der junge Arzt hat bereits mehrere Doktortitel. "Den dritten führe ich noch nicht, da warte ich noch auf die finalen Unterlagen - das ist der PhD. Ich habe in London an der Uni noch den internationalen Doktorgrad der Tierneurologie gemacht und habe jetzt auch die Befugnis, an der Uni Studenten auszubilden" erzählt Benjamin und betont: "Doktorgrade sind schöne Kürzel, aber zum Schluss sind wir auch nur ganz normale Menschen. Ich liebe einfach das, was ich mache."
Seit 5 Jahren unterstützt der Tierarzt in seiner Praxis in Mannheim ausschließlich Hunde und Katzen mit Krampfanfällen. Inzwischen gibt es von ihm auch die BrainCheck.Pet® App: Sie dient vor allem der Dokumentation der Krampfanfälle sowie anderer gesundheitlicher Aspekte des Hundes. Ein Pillenzähler erinnert an Mindesthaltbarkeitsdaten und daran, Medikamente nachzukaufen. Das erleichtert nicht nur das Leben der Tierbesitzer, sondern hilft auch dem Arzt, auf alle Daten direkt zugreifen zu können.
Ursachen für Krampfanfälle
Denken wir an das Thema Krämpfe, verbinden viele von uns direkt die Epilepsie damit. Aber: "Nicht alles, was zappelt, ist ein Epileptiker", sagt Dr.Berk. Es gibt - unabhängig der Epilepsie - viele verschiedene Arten der Anfallserkrankungen. Wichtig sei von Anfang an die Dokumentation, rät der Experte: "Schreiben Sie auf, wie und wann es passiert ist, machen Sie Videos und behalten Sie Ihren Hund im Blick!" Anhand von Kardinalszeichen wird entschieden, ob diese Anfälle in eine epileptiforme Richtung gehen oder eben andere Anfallserkrankungen dahinterstecken. Zu nennen wäre hier z.B. der Dobermann, der zwar mit dem Kopf wackelt - die sogenannten Kopf-Tremore auch genannt Head Bobbing - dem es aber gut geht und nichts passiert, außer, dass er danach weiterspielt. Oder aber auch Verhaltensstörungsaspekte, dass etwa Hunde in gewissen Situationen getriggert werden und plötzlich richtige Angstattacken zeigen. Das müsse Schritt für Schritt aufgedröselt und nach Kardinalszeichen untersucht werden.
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Epilepsi erkennen
Zu den Kardinalsanzeichen der Epilepsie gehören 3 wesentliche Aspekte:
- Der Hund ist nicht bei Bewusstsein oder bewusstseinseingeschränkt.
- Es zeigen sich vegetative Nervensymptome - Handlungen, die im Normalfall automatisch ablaufen, werden übergetriggert. Das hat zur Folge, dass der Hund während eines Anfalls extrem speichelt oder pinkelt, gar Kot absetzt.
- Der Hund kehrt nach dem Anfall nur langsam zu sich zurück, läuft in der Wohnung umher und erkennt den Besitzer nicht. Das ist die sogenannte Nachphase. Hierbei wird das Gehirn wieder resettet und kehrt in den Normalzustand zurück; wie ein abgestürzter PC, der einen Neustart vollzieht.
Diese 3 Aspekte treten in der Regel immer bei einem epileptiformen Anfall auf. Der Anfall selbst äußere sich meist durch Ruderbewegungen, einem verzogenen Gesicht und vermehrtem Speicheln. "Wichtig ist, dass der Anfall selbstlimitierend ist", sagt Dr.Berk. "Dauert er länger als 3 Minuten, ist das - auch beim ersten Mal - ein Zeichen dafür, sofort in die Klinik zu fahren!" Treten die Kardinalszeichen auf, folgt die Abklärung, woher die Epilepsie kommt, denn sie kann viele verschuiedene Ursachen haben.
Was nach dem Anfall bleibt
Es gibt bei den Anfällen starke Abstufungen und verschiedene Arten, z.B. tonische, klonische und den Unterabschnitt der fokalen. Der Hund sitzt da und bekommt Gesichtszuckungen, schnappt nach imaginären Fliegen oder das Bein bewegt sich durchgehend. Dabei kann das Tier bewusstseinseingeschränkt oder bewusstseinsabwesend sein. Wenn der Hund einen großen Anfall hatte, dieser aufhört, der Hund durch die Gegend läuft und dann plötzlich der nächste Anfall beginnt, spricht man von Serienanfällen. Bei Anfällen ab 5 Minuten handelt es sich um den sogenannten Status epilepticus - dabei hat der Hund einen Dauerkrampf. "Die Art des Anfalls bestimmt die Schäden, die passieren. Je milder und kürzer der Anfall, umso besser. Es hat aber immer auch damit zu tun, wie viele Anfälle es davor gab. Je mehr Anfälle ein Hund hat, umso schlimmer ist es und umso unkontrollierbarer wird es mit der Zeit", weiß der Fachmann. Es sei, wie wenn man immer wieder an derselben Stelle über ein stark bewachsenes Feld laufe: "Irgendwann wächst da kein Gras mehr." Es kommt zu bleibenden Schäden, die man auch mit der Zeit bei seinem Hund im Verhalten oder der geistigen Leistungsfähigkeit wahrnimmt.
Ein Epileptiker gehöre nicht in eine alternativmedizinische Behandlung, wie der Experte betont. "Ich hatte einen Hund in meiner Praxis, der über Jahre ausschließlich homöopatisch behandelt wurde. Der Patient stand auf meinem Tisch und war nur noch wie eine Hülle." Die Hunde verändern sich in der Art und Weise, wie sie mit dem Menschen interagieren, haben kognitive Einschränkungen, laufen trotz guter Sehfähigkeit gegen Gegenstände und zeigen Angstattacken. Zudem kann jeder Anfall potnziell auch zum Tod führen. Je länger der Anfall anhält, desto problematischer die Folgen.
Ursachen epileptischer Anfälle
Es wird unterschieden zwischen reaktiven und epileptiformen Anfällen. Reaktiv ist eine Reaktion auf etwas. Irgendwas muss also mit dem Hund passiert sein, irgendetwas muss er aufgenommen haben, worauf eine Reaktion des Gehirns stattfindet. "Das können Giftstoffe sein, etwa Herbizide oder Frostschutzmittel. auch mit Waschmittel hatten wir schon einen Fall. In der Regel sind hier auch Begleitsymptome wie Erbrechen oder Durchfall vorhanden. Die Leber und Nierenwerte sind erhöht, oder Ähnliches ist zu finden." In solchen Fällen zeigten sich meist viele Anfälle nacheinander, solange der Stoff im Körper ist. Wird in den ersten 24h behandelt, könne man die Anfälle gut auffangen, manchmal sei das Gehirn danach aber so "umprogrammiert", dass der Hund auch nach Bekämpfung der Ursache noch Anfälle haben könne.
Hat der Hund einen einzelnen Anfall und erst mehr als 24 Stunden später einen weiteren, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Ursache genetisch oder strukturell ist - also Veränderungen im Gehirn dazu führen. Hunde bis 6 Monate und über 6 Jahre tendieren eher zu einer reaktiven oder strukturellen Epilepsie, Hunde im Alter dazwischen haben zu großen Teilen eine genetische Komponente durch Zucht und Rasse, die durch bestimmte Auslöser ab einem gewissen Alter hervorkommt und sich entwickelt. Hier spricht man auch von einer idiopathischen Epilepsie, das heißt genetisch vermutet oder kryptogen - also nicht klar bekannt. Ursache einer strukturellen Epilepsie ist z.B. ein Hirntumor oder auch ein Schlaganfall.
"Tritt eine Epilepsie auf, muss das nicht bedeuten, dass sie dauerhaft auftritt und muss überhaupt nicht das Ende des Lebens bedeuten", betont Dr.Berk. "Auch mit einem Tumor kann man sehr gut und sehr lange leben - wichtig ist, dass man die richtigen Tierärzte sucht und einen passenden Therapieplan aufbaut, mit dem das Leben normal wird." Man brauche einen Neurologen, der auf seine Hände vertraut und auf das Wissen, das er hat. Er solle außerdem offen sein. "Mein sensibelster Parameter ist trotzdem immer der Tierbesitzer. Er kennt sein Tier und hat es jeden Tag vor der Nase. Man sollte sich niemals scheuen, zu sagen, was man denkt, zu fragen, was man wissen will und sich nicht dafür schämen, dass man vielleicht auch einmal komische Fragen stellt."
Diagnostik
Das Vorgehen, mit dem herausgefunden werden soll, woher die Anfälle kommen, beginnt in der Regel mit einer Anamnese, einer Allgemeinuntersuchung und einem Blutbild. Wichtig ist außerdem die neurologische Untersuchung. Dort wird überprüft, ob das Gehirn grundsätzlich funktioniert - es ist das Grund-Monitoring-Tool und deckt 90 Prozent des Gehirns ab. "Wenn ich z.B. beim Hund mit der Hand vors Gesicht gehe, gibt es den sogenannten Drohreflex: Das Tier zuckt ein wenig zurück. Wenn dieser Reflex auf der einen Seite anders ist als auf der anderen, dann sollte man zur weiteren Abklärung ein MRT in Erwägung ziehen." Sind die Laborwerte und neurologische Untersuchung unauffällig, spricht schon viel für eine idiopathische Form der Epilepsie. Durch MRT und Hirnwasseruntersuchung lässt sich final ausschließen, ob strukturelle Aspekte zugrunde liegen. Das EEG - was beim Menschen gemacht wird - ist beim Hund noch nicht so relevant.
Behandlung und Medikation
Hier geht es weniger um eine Therapie als vielmehr um ein Management. Die Epilepsie soll kontrollierbar werden. Tritt die Epilepsie auch über Jahre nicht auf, sollte man sich trotzdem gut überlegen, welches Management man weglässt, denn die Epilepsie wird immer da sein. "Wenn ich ein Managemant aufbaue, ist das wie ein Häuschen mit vielen, vielen Säulen. Jede Säule hat die Funktion, dieses Häuschen zu schützen. Je mehr Säulen ich habe, umso besser ist es und man sollte immer noch eine Säule in petto haben, die man irgendwo einbauen kann, wenn das Haus mal wackelt", empfiehlt Dr.Berk. Dabei sei die Grundsäule immer die Notfallmedikamentation. Schon beim ersten Anfall solle man den Tierarzt aufsuchen und unbedingt Notfallmedikamentation besorgen. Hierbei handelt es sich um Wirkstoffe, die Anfälle unterbrechen. Wichtig sei immer die richtige Anwendung und Dosierung der verschiedenen Produkte, die durch den After, durch die Nase oder das Maul verabreicht werden.
Je mehr Anfälle es werden, desto wichtiger ist es, die Anfälle auch zu kontrollieren. Bestimmte Medikamente können die Anfallschwelle anheben und die Wahrscheinlichkeit, das Anfälle auftreten, minimieren. "Manchmal entwickelt die Epilepsie sich weiter und findet ein Hintertürchen, das ist leider wirklich das größte Problem", weiß der Experte. "Dann brauchen wir eine multiple Medikation. Das Ziel ist nicht mehr als ein Anfall in 3 Monaten, hier halten sich die Schäden im Rahmen. Manchmal findet sich aber keine passende Medikation. Dann gilt: Lebensqualität vor Anfallskontrolle."
Neurodiätetik
Auch die Ernährung kann helfen, Anfälle zu unterdrücken, indem das Gehirn unterstützt wird. Durch die Gabe gewisser Nährstoffe kann man das Gehirn schützen und ihm dabei helfen, sich selbst zu regenerieren. Kognition kann gesteigert und bestimmtes Verhalten positiv beeinflusst werden. Dort seien laut Dr.Berk umfassende Fütterungs-Konzepte zielführend: "Die Fütterung hat eine große Macht. Vielen Tierbesitzern ist es gar nicht bekannt."
Es gibt zudem die Hypothese der Gut-Brain-Axis, also eine Darm-Hirn-Verbindung. Das, was wir essen, beeinflusst das Mikrobiom im Verdauungstrakt, und diese Mikroben haben ein Einfluss auf unser Gehirn, weil sie mit der Darmschleimhaut interagieren und dort bestimmte Signalwege legen, aber auch selbst Substanzen produzieren, die dann über die Darm-Schranke ins Blut gelangen und vom Blut ins Gehirn, wo sie ihre eigenen Effekte haben. "Das Schwierige ist, dass jeder Hund eine eigene Darmflora hat. Uns fehlt meist der Normalwert und wir können nicht schauen, was sich verändert hat, seit der Hund an Epilepsie erkrankt ist", erklärt der Experte. Zudem werde die Darmflora von sehr vielen Faktoren beeinflusst, etwa der Fütterung und den Lebensumständen des Hundes. "Wir wissen aber, dass die Darmflora bei Epelepsie-Patenten häufig verändert ist und dass z.B. mittelkettige Fettsäuren das Ganze beeinflussen."
Neben mittelkettigen Fettsäuren, die man beispielsweise in Ölform (MCT-Öl) oder Pulver geben kann, ist auch L-Carnitin eine gute Unterstützung für Epileptiker. Taurin ist ein weiterer wichtiger Stoff ebenso wie die vielen B-Vitamine, wie B12, B2, B1, welche für die Gehirnentwicklung wichtig sind. Omega-3 Fettsäuren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Ein Hühnereigelb ist eine tolle Sache, dort sind sehr viele B-Vitamine enthalten - roh, denn Erhitzung zerstört die Vitamine (aber vorsicht vor Salmonellen). Wichtig ist, wirklich nur das Eigelb zu füttern, denn das Eiweiß wiederum enthält Substanzen, welche die nützlichen Stoffe im Eigelb binden. Bierhefe enthält Zink und Kupfer und ist ebenfalls sehr hilfreich. Auch Lachs- und Fischöl sind gut. "Möglichkeiten gibt es viele - möchte man diese aber als Hilfe gegen die Epilepsie anwenden, ist es wichtig, dass man richtig kalkuliert und einen fachkundigen Tierarzt zu Rate zieht", sagt der Tierneurologe.
Wenn Dauer_Medikamentation nötig ist
Die Epilepsie-Mecdikamente wirken sehr unterschiedlich bei verschiedenen Hunden. Manchen merkt man die Medikation nicht an, andrere lassen sich regelrecht in das Leiden hineinfallen. "Dennoch spielen wir natürlich mit dem Gehirn des Hundes - im besten medizinischen Sinne - und das Medikament wirkt am ganzen Körper - wir haben also Nebenwirkungen und die sind nicht zu unterschätzen." So könnten z.B. Aktivität, Müdigkeit, Gangbild und Appetit beeinflusst werden. Grundsätzlich lautet die Empfehlung: Hat ein Hund mehr als 2 Anfälle innerhalb von 6 Monaten, sollten die Medikamente eingesetzt werden. "Je früher man die Anfälle kontrolliert, desto besser ist die Prognose. Je länger ich warte, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Gehirn ´eskaliert´ und ich das Ganze mit Medikamenten nicht mehr in den Griff bekomme", sagt Dr.Berk. Die Nebenwirkungen können sich vor allem am Anfang deutlich zeigen, sollten sich aber mit der Zeit einpendeln. Ist das nicht so, läuft etwas schief, denn Ziel ist immer die bestmögliche Lebensqualität des Hundes.
Die Rolle des Menschen
"Man sollte nie vergessen, wie es dem Menschen dabei geht, wenn sein Tier plötzlich auf dem Boden liegt und zappelt" plädiert Dr.Berk "Diese Angst, der Schmerz und die Verlorenheit, die man da fühlt, wünscht man keinem. Das macht was mit einem, das ist traumatisierend. Man steht vor seinem Hund und weiß nicht, was man tun soll. Bei jeder Bewegung des Hundes ist man auf Halb Acht und im Aktivierungsmodus voller Adrenalin." Auf das Verständnis für die Menschen legt Dr.Berk in seiner Praxis sehr viel Wert. Ihm ist wichtig, dass sie nicht verzweifeln, sondern die Erkrankung des Haustieres annehmen: "Das ist eben der Special Effekt bei diesem Haustier. Die nimmt man mit und kriegt sie in den Griff. Was man macht, ziehlt darauf ab, dass man die Lebensqualität - auch von sich selbst - optimiert. Es bleibt ein Lebenseinschnitt. Selbstführsorge ist da extrem wichtig!"
(DER HUND 3/24 Seite 42 bis 46)